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Erziehungsberatung an Grundschulen – Erfahrungsbericht einer Psychologin

Maja Grigat, Psychologin, M.Sc.; Erziehungsberatungsstelle der katholischen Jugendfürsorge

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Seit Herbst 2020 darf ich neben meiner Arbeit in der Beratungsstelle, Teil eines neu ins Leben gerufenen Projekts sein, und zwar dem Projekt Erziehungsberatung an Grundschulen. Das Ziel dieses Projekts ist es, an jeder Grundschule in München, an der keine Schulsozialarbeit vorhanden ist, eine Mitarbeiterin der zuständigen Beratungsstelle mit einer festen Stundenanzahl zu etablieren, die den Eltern und Kindern einen niederschwelligen Zugang zur Erziehungsberatung ermöglicht. Und somit zog ich als Mitglied der Pilotgruppe als eine der ersten in München an eine Grundschule in unserer Sozialregion Bogenhausen in ein kleines Büro. Mit ein paar Veränderungen wurde dies zu einem freundlichen und gemütlichen Beratungsraum, der mit dem ultimativen Lob einer Schülerin „Boa, ist das hier schön!“ gekrönt wurde. Nun galt es das Projekt und mich selber an der Schule und ihren zahlreichen Mitarbeitenden bekannt zu machen, von SchülerInnen über LehrerInnen und Schulpsychologinnen bis hin zu Hortmitarbeitenden und Hausmeister. Die Direktorin leistete gute Dienste mich hierbei zu unterstützen.

Die Atmosphäre im Lehrerzimmer in der ersten und zweiten Pause ist eine besondere. Kaffeegeruch steigt einem in die Nase, es ist wuselig und laut, es wird Brotzeit gemacht und gelacht, sich über Proben ausgetauscht und Geburtstagsständchen gesungen. Eine nette Welt, in die ich wie eine Beobachterin Einblick gewinnen konnte. Aber eben auch nur wie eine Beobachterin. Im Lehrerzimmer war ich immer wieder konfrontiert damit, wie schwer es ist in der Schulfamilie als externe Person seine Rolle zu finden. Es ist den LehrerInnen bekannt, wer ich bin, ich werde freundlich begrüßt. Dennoch ist auch ein wenig Skepsis da, ich sitze eher dabei als mittendrin und kann bei den schulspezifischen Themen nicht mitreden. Trotzdem ist und bleibt es ein wichtiger Teil der Arbeit sich mit den LehrerInnen zu vernetzen. Einige sind von Anfang an große BefürworterInnen des neuen Projekts und empfehlen den Eltern das Beratungsangebot wärmstens. Sie fühlen sich entlastet, wenn sie den Eltern dieses Angebot empfehlen können, auch wenn sie es nicht in der Hand haben, ob die Eltern sich tatsächlich melden, da es selbstverständlich ein freiwilliges Angebot ist. Womit sich ein wichtiges Thema auftat, die Schweigepflicht. Ein Thema, das in der Schule deutlich anders gehandhabt wird als in der Beratungsstelle. In der Schule wird viel „mal eben kurz“ zwischen Tür und Angel besprochen. „Hat sich Familie xy gemeldet?“, werde ich zum Beispiel beim Verlassen des Lehrerzimmers gefragt. Eine Frage, die ich nicht ohne Weiteres beantworten kann. Nicht ohne vorher mit den Eltern geklärt zu haben, ob es in Ordnung ist, dass ich der Lehrerin sage, dass die Eltern in Beratung sind. „Dazu kann ich leider nichts sagen“, ist natürlich eine etwas unbefriedigende Antwort für die LehrerInnen, dennoch ist es so wichtig, die Schweigepflicht als hohes Gut in der beratenden Tätigkeit zu wahren.

 

Flyer EB an GS und Schulpsychologinnen

Ein nächster wichtiger Schritt war es, die für die Schule zuständigen Schulpsychologinnen kennenzulernen. Zuständigkeiten klären, Zusammenarbeit planen. Die Schulpsychologinnen erlebte ich als äußert offen und positiv gegenüber mir als Person und dem neuen Projekt. Es entlaste sie sehr, wenn sie Familien, bei denen sie Bedarf für mehr Unterstützung sähen, zu mir schicken können, da ihnen selber oft die Kapazitäten dafür fehlen. Gemeinsam mit einer Schulpsychologin erstellte ich einen Flyer, der dann sowohl auf der Schulhomepage zu finden war als auch an die Eltern ausgegeben wurde. Wir steckten dort unsere Tätigkeitsbereiche ab, mit dem Ziel, den Eltern zu erklären, an wen sie sich bei welcher Fragestellung richten können. Die Schulpsychologinnen stehen vor allem für jegliche Testungen bei Lern und Leistungsstörungen, wie zum Beispiel Legasthenie oder Dyskalkulie und speziellen Schullaufbahnentscheidungen zur Verfügung. Die Erziehungsberatung hingegen ist für alle Fragen und Probleme des familiären Zusammenlebens, Erziehung, Entwicklung, Krisen und Trennungs- und Scheidungsthemen zuständig. Also die üblichen Themen, für die man eine Erziehungsberatungsstelle aufsucht, nur eben, dass diese nun direkt an der Schule zu finden ist.

 

Bei den Eltern stellte ich mich bei den Elternabenden zu Beginn des Schuljahrs vor. Gemeinsam mit der Direktorin ging ich von Elternabend zu Elternabend und stellte mich und das Projekt vor, erklärte wie und wann sie mich kontaktieren können und legte Visitenkarten aus. Hierbei war es mir sehr wichtig zu betonen, dass ich zwar in der Schule mein Büro habe, jedoch nicht zur Schule gehöre und dass alle besprochenen Themen selbstverständlich vertraulich behandelt werden und nicht an die Schule weitergetragen werden. Einige Eltern kannten das Angebot schon von Flyer und Homepage, für viele war es jedoch hilfreich nochmal ein Gesicht zu dem Angebot Erziehungsberatung an Grundschulen vor Augen zu haben. Eine Rückmeldung von vielen Eltern war es, dass sie die Nähe des Beratungsangebots zu ihrem Wohnort sehr schätzen. Dadurch, dass die Grundschule für jede Familie schnell zu erreichen ist, entsteht kein zusätzlicher Aufwand zu einem Termin zu fahren oder die Kinder abzuholen.

Um mich auch bei den SchülerInnen bekannt zu machen ging ich durch die 3. und 4. Klassen. Mit der Direktorin entstand die Überlegung, dass eine Vorstellung in diesen Altersstufen am sinnvollsten sei, da die Kinder alt genug seien, mich bei Problemen eigenständig in der Pause aufzusuchen. So ging ich also durch die Klassen, nannte meinen Namen und erklärte, dass ich jetzt auch hier an der Schule arbeite, aber keine Lehrerin bin, sondern eine Psychologin. Ob denn jemand wisse, was eine Psychologin so mache, fragte ich. Die Finger schnellten in die Höhe und die herzerwärmenden Antworten gingen von „Du bist eine Naturwissenschaftlerin, die sich besonders gut mit Pflanzen auskennt“ bis hin zu „Machst du was mit Physik?“. Einige Kinder wussten auch schon gut Bescheid und gaben Antworten wie „Ein Arzt, aber nicht für körperliche Verletzungen“. Ich erklärte ihnen, dass jeder zu mir kommen kann, wenn es ihm oder ihr schlecht geht, er oder sie sich zum Beispiel traurig oder wütend fühlt, oder Angst hat, oder sich die Eltern zu Hause die ganze Zeit streiten und man darunter leidet. Und erklärte weiter, wo sie mich in der Schule finden und dass sie auch selber bei Bedarf einfach zu mir kommen dürfen, zum Beispiel in der Pause. In der abschließenden Fragerunde meldete sich ein Junge und sagte: „Ich finds schön!“. Diese wertschätzende Rückmeldung zeigte mir, dass es sehr sinnvoll war, sich auch direkt bei den Kindern vorzustellen. Mit einem „Auf Wiedersehen Frau Grigat“-Singsang wurde ich verabschiedet und in den darauffolgenden Wochen in den Gängen der Schule freudig begrüßt. Tatsächlich suchten ein paar Kinder mich eigenständig auf, oft entstand nur ein kurzes Gespräch, was schon Entlastung bieten konnte oder sie berichteten ihren Eltern davon, die sich wiederum bei mir anmeldeten.

 

Ausstellung in der Schule „Corona ist blöd“

Die SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen waren die Personengruppen, die mit am meisten unter den Einschränkungen durch Corona zu leiden hatten. Präsenzunterricht, Quarantäne, Homeschooling, Wechselunterricht. Es war stets ein einziges Hin und Her und eine große Anpassungsherausforderung für alle Beteiligten. Von mehreren Kindern, die ich in der Beratung zehn Wünsche aufschrieben ließ, kam der Wunsch „Dass man wieder jeden Tag in die Schule gehen kann“. Eltern mussten plötzlich als Lehrer fungieren, während sie selber im Homeoffice waren. Einige Eltern kamen an die Grenze ihrer Geduld, wollten diese neue Lehrerrolle nicht, wurden von ihren Kindern in dieser Rolle auch nicht respektiert, es kam zu Konflikten und Anspannung zu Hause. Zu Hause, wo oft die ganze Familie gelernt, gearbeitet und gelebt hat, mit wenigen Möglichkeiten der Ablenkung und Freizeitgestaltung außer Haus. Eine 3.-Klässlerin musste eine besondere Anpassungsleistung bringen. Ihre Eltern sind seit kurzem getrennt, der Umgang erfolgt in einem komplexen Wechselmodell, in das sich das Mädchen gerade erst einfinden musste und plötzlich hat sie einen Tag Schule und am nächsten Tag Distanzunterricht. Die Verwirrung ist groß und der Wunsch nach Normalität noch größer. Um das neue Projekt an der Schule zu etablieren, waren diese Voraussetzungen auch nicht die besten. Während der Schulschließungen war auch ich nicht vor Ort in der Schule, sondern stand den Eltern lediglich per Video oder Telefon zur Verfügung. Gerade begonnene Beratungen mit Kindern mussten vorerst pausiert werden.

 

In dieser Zeit trafen wir uns häufig in der „Mini-Werkstatt“. Dort treffen sich alle BeraterInnen, die in dem Projekt EB an Grundschulen arbeiten und an verschiedenen Grundschulen in München tätig sind. Wir tauschten uns aus, besprachen Herangehensweisen und auftretende Probleme in den Schulen. Allen ging es ähnlich, der Anfang war nicht ganz leicht und durch Corona ausgebremst zu sein war hinderlich. Dennoch wird ein großer Bedarf an den Schulen spürbar und die Reaktionen auf das neue Projekt sind positiv. Es war und ist hilfreich zu erfahren, dass es den anderen ähnlich geht, wie mir selbst. Ich bin gespannt, wie sich das Projekt weiterentwickelt und bin froh ein Teil davon zu sein.

 

Maja Grigat, Psychologin, M.Sc.

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