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Der Krippenpsychologische Fachdienst München

Bernhard Kühnl, Stefan Näther, Susanne Pilger. Der Artikel ist erschienen in Scheuerer-Englisch, Hermann; Hundsalz, Andreas & Menne, Klaus (Hrsg.) (2014): Jahrbuch für Erziehungsberatung. Band 10. Weinheim und Basel: Beltz-Verlag. S. 90-106

Erfahrungen und Thesen zur Kooperation

Seit 1985 bieten die städtischen Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche und seit 2001 auch die Beratungsstellen in freier Trägerschaft in den Münchener Kinderkrippen Beratung vor Ort an. Diese Zusammenarbeit ist verbindlich - alle regionalen Erziehungsberatungsstellen sowie alle Kinderkrippen, die durch eine so genannte Betriebsträgerschaft erhöhte Fördermittel beantragt haben, sind verpflichtet, an diesem Modell zu partizipieren. Die Tätigkeit der Krippenpsycholog/innen wird dabei durch einen mit dem Jugendamt ausgehandelten Vertrag geregelt, der von den beteiligten Trägern unterzeichnet wird. Im ersten Teil des Beitrags wird dieser Fachdienst beschrieben; die Möglichkeiten dieses Aufgabengebietes werden anhand der einzelnen Vertragsteile vorgestellt. Im zweiten Teil werden Thesen zur Zusammenarbeit generiert, die unter anderem auch aufgrund der Erfahrungen mit dem Krippenpsychologischen Fachdienst entstanden sind. Ein Fallbeispiel im dritten Teil schließlich zeigt, welche konkreten Umsetzungen mit diesem Dienst innerhalb einer Erziehungsberatungsstelle möglich sind.

Der Krippenpsychologische Fachdienst

Der Krippenpsychologische Fachdienst ist dem Engagement und der engen Zusammenarbeit zweier städtischer Referate zu verdanken; einer Krippenabteilung, die versuchte, entwicklungspsychologische Aspekte in den Krippenalltag zu integrieren, sowie einer städtischen Erziehungsberatungsstelle, die dafür bereit war, Psycholog/innen regelmäßig in die städtischen Krippen zu schicken. Hintergrund der Konzeption war, dass ein niedrigschwelliger Zugang zur Erziehungsberatung unter dem Motto „Beratung vor Ort“ ebenso wie die Unterstützung und Schulung der Krippenmitarbeiterinnen insbesondere mit entwicklungspsychologischem Wissen ermöglicht werden sollte. Durch die positiven Rückmeldungen, z. B. belegt durch regelmäßige Elternbefragungen, wurde dieser Fachdienst dann auf alle regionalen Erziehungsberatungsstellen sowie auf Krippen freier Träger ausgeweitet. Mit einem aufsuchenden Arbeitsansatz wird eine Kinderkrippe, die im Einzugsbereich der regional zuständigen Beratungsstelle liegt und eine regelmäßige Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle schriftlich vereinbart hat, vom -namentlich benannten Krippenpsychologen bzw. von der Krippenpsychologin durchschnittlich zwei Mal monatlich aufgesucht. Die Kooperation mit den Kinderkrippen ist als weitere Aufgabe der Erziehungsberatungsstellen mit zusätzlichen Finanzmitteln ausgestattet worden. Das verfügbare Stundenkontingent richtet sich nach der Anzahl der in der Krippe betreuten Kinder und beträgt zwischen 5 und 8 Stunden pro Monat. Wenige in den ersten Jahren geschlossene Verträge mit Kooperationseinrichtungen schließen noch die fachliche Zuständigkeit auch für Kindergartenkinder ein, Neuverträge richten sich nur noch an die Krippenkinder im Alter von 0 bis 3 Jahren.

Aufgaben

Folgende Aufgaben, die damit auch die Arbeitsmöglichkeiten festlegen, sind im Standardvertrag des Krippenpsychologischen Fachdienstes aufgeführt. Die Reihenfolge dieser Aufzählung entspricht dem Vertrag. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten wird jeweils zwischen der Leitung der Kinderkrippe und dem/der Krippenpsycholog/in vereinbart, regelmäßig überprüft und dann ggf. verändert.

Besuche in den Gruppen zur Beobachtung einzelner Kinder im Gruppenprozess. Im Betreuungsvertrag zwischen den Eltern und der Einrichtung ist bereits festgehalten, dass sich die Sorgeberechtigten mit der Betreuung der Einrichtung durch den Krippenpsychologischen Fachdienst und ggf. einer (allgemeinen) Beobachtung ihres Kindes einverstanden erklären. Meist mit einem gezielten Beobachtungsauftrag vom pädagogischen Personal, teils aber auch mit „ungerichtetem Blick auf alle“ bzw. das systemische Geschehen nimmt der/die Krippenpsychologe/in am Gruppenalltag teil. Den Kindern ist der regelmäßige Gast nach einer Weile schon vertraut, so dass sie ihr Verhaltensrepertoire häufig realitätsnah präsentieren. Inhalt der Beobachtung sind die verschiedenen Entwicklungsbereiche, wie sie u.a. in der Entwicklungstabelle von Beller (2008) beschrieben werden.

Einzelbeobachtung von Kindern zu diagnostischen Zwecken. Durch Beobachtung im Gruppenprozess gebildete Hypothesen können anhand von standardisierten diagnostischen Tests z. B. zur motorischen, sprachlichen, sozio-emotionalen und kognitiven Entwicklung überprüft werden. Als Beispiele seien die Bayley-Scales, der ET 6-6 und der SETK-2 genannt. Auch der Einsatz von Fragebögen, z. B. CBCL 142-5 bzw. C-TRF 142-5 zur Beurteilung durch die Eltern bzw. die Bezugserzieher/innen kann bei gezielten Fragestellungen sinnvoll sein. Hierfür ist das ausdrückliche Einverständnis der Sorgeberechtigten nötig.

Für die Durchführung der Diagnostik erweist es sich häufig als günstig, dass durch das aufsuchende Angebot des Krippenpsychologischen Fachdienstes meist dem Kind bekannte Räumlichkeiten genutzt werden können. Auch die Vertrautheit mit dem Testleiter/der Testleiterin erleichtert dem Kind die Mitarbeit. Zudem kann dem Kind in diesem Rahmen eine gewisse zeitliche Flexibilität gewährt werden, da die Eltern keine zusätzliche Anfahrtszeit aufwenden müssen. Wird aus organisatorischen Gründen eine Durchführung an der regionalen Beratungsstelle nötig, hält sich der Mehraufwand für die Eltern ebenfalls Grenzen.

Beratung des pädagogischen Personals. Beobachtungen werden zeitnah den Bezugserzieher/innen des jeweiligen Kindes und ggf. der Krippenleitung rückgemeldet. In Gesprächen mit dem pädagogischen Personal werden auch (nicht beobachtbare) anamnestische Informationen, z. B. zum familiären Hintergrund des Kindes, sowie bisherige Beobachtungen der Erzieher/innen erfragt und dann eine gemeinsame Sichtweise entwickelt, bevor geeignete Handlungsschritte thematisiert werden. Empfehlungen des Krippenpsychologischen Fachdienstes umfassen vor allem Ansätze zur Entwicklungsförderung (z. B. Bodenburg & Kollmann, 2009), zum pädagogischen Umgang mit dem Kind in schwierigen Erziehungssituationen sowie die Vorbereitung von Elterngesprächen der Mitarbeiter/innen, in denen die Beobachtungen mitgeteilt werden. Auch eine Teilnahme an Teambesprechungen ist je nach zeitlicher Koordination und Offenheit der Mitarbeiter/innen möglich. Dies setzt eine tragfähige Arbeitsbasis zwischen dem Krippenpsychologischen Fachdienst und den Mitarbeiter/innen der Einrichtung voraus.

Beratung der Eltern/Sorgeberechtigten und weiterer wichtiger Bezugspersonen des Kindes zu dessen Entwicklung. Im Gespräch mit den Eltern ist der Austausch über die Beobachtungen im Krippenalltag bzw. die Beobachtungen der Eltern im häuslichen Umfeld sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Sichtweise zentral. Die Beratung der Bezugspersonen des Kindes kann in auf das Kind zentrierten Einzelgesprächen (auch als „offene Elternsprechstunde“), aber auch in Form von allgemeinen Informationsveranstaltungen („Elternabenden“) oder niedrigschwellig durch die Teilnahme z. B. am Elterncafé erfolgen. Häufige Themen sind z. B. Unterstützung bei der Sauberkeitsentwicklung und der Überwindung von Ängsten, Umgang mit Trotz und starker Wut des Kindes sowie Geschwisterrivalität (vgl. Siegler et al., 2008). Auch Fragen zur emotionalen Bindung des Kindes v. a. bei Trennung und Scheidung beschäftigen die Eltern oft. Bestehen Entwicklungsverzögerungen beim Kind, sind die Eltern oft dankbar, wenn ihnen über die Förderung im häuslichen Rahmen hinaus regionale Angebote und Ansprechpartner verschiedener Kostenträger genannt werden können.

Einzelgespräche können gemeinsam mit dem/der Bezugserzieher/in oder alleine, ggf. auch an der regionalen Beratungsstelle, geführt werden. Letzteres Angebot schafft für die Eltern einen vertraulicheren Rahmen, gerade wenn ein Dissens über die Einschätzung von Entwicklungsfortschritten des Kindes besteht oder die Eltern persönliche Themen ansprechen möchten. Die Eltern können auch die Schweigepflicht des Krippenpsychologen/ der Krippenpsychologin einfordern, die insbesondere auch gegenüber den Krippenmitarbeitern einzuhalten ist. Eine Ausnahme stellt dabei nur eine Kindeswohlgefährdung dar.

Teilnahme an Hilfeplanverfahren. Bei einer Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 2 SGB VIII ist bereits vor Aufnahme eines Kindes in die Krippe ein Fachteam der beteiligten Helfer in der Krippe vorgesehen, um den Aufnahmeprozess und die Eingewöhnung des Kindes günstig zu gestalten. Im Verlauf der Betreuung des Kindes finden dann meist halbjährlich Hilfeplanüberprüfungsgespräche gemeinsam mit den Sorgeberechtigten statt.

Durch diese Form des Hilfeplanverfahrens sind die Erziehungsberatungsstellen schon sehr früh in die Beratung von Multiproblemfamilien einbezogen und können angesichts der besonders risikoreichen familiären Bedingungen auf eine günstige Entwicklung des betreuten Krippenkindes hinwirken (vgl. Jungmann & Pfeiffer, 2010). Unter systemischen Gesichtspunkten wird man sich als psychologischer Fachdienst auch bemühen, Geschwisterkinder ebenfalls in den elterlichen Fokus zu rücken und für diese die Inanspruchnahme von Hilfen über die Erziehungsberatungsstelle zu erreichen. Wenn das Kind die Krippe oder Kooperationseinrichtung verlässt, ist es zudem möglich, die Beratung an der Erziehungsberatungsstelle weiterzuführen.

Nicht nur bei Kindern, die den Krippenplatz nach § 27 Abs. 2 SGB VIII erhalten, sondern bei allen betreuten Kindern spielt die regionale Vernetzung und Kooperation v.a. mit niedergelassenen Kinderärzten eine wichtige Rolle. So kann bereits die triviale Empfehlung an die Eltern, die Hör- und Sehfähigkeit ihres Kindes abklären und ein Blutbild (Schilddrüsenwerte) machen zu lassen ggf. zu einer positiven Veränderung eines bisher zurückgezogenen Kindes beitragen (vgl. Walger, 2010). Häufiger ist der Krippenpsychologische Fachdienst mit Förderbedarf der betreuten Kinder im motorischen und/oder sprachlichen Bereich konfrontiert, in Einzelfällen kann auch die Abklärung einer organischen Erkrankung, z. B. einer möglichen Epilepsie, erforderlich scheinen. Nach der Initiation einer Untersuchung, teils auf direktem schriftlichen oder fernmündlichen Weg über die Kinderärzte, kommt dem Krippenpsychologischen Fachdienst im Anschluss eine koordinierende Rolle bezüglich des Feedbacks zu: Wurde die Untersuchung überhaupt durchgeführt? Wenn nein, warum nicht? Welches Ergebnis hatte die Untersuchung? Welche Maßnahmen wurden ggf. eingeleitet? Welche Veränderungen im Verhalten des Kindes konnten in der Folge beobachtet werden? Besteht weiterer Interventionsbedarf?

Erstellung von Gutachten. Zur Sicherung eines günstigen Informationsflusses kann es sinnvoll sein, erhobene Testergebnisse schriftlich zusammenzufassen und sie mit Einverständnis der Sorgeberechtigten z. B. an den Kinderarzt bzw. die Kinderärztin, die Bezirkssozialarbeit, weiterführende Institutionen oder Therapeuten und Therapeutinnen weiterzuleiten. Fachliche Stellungnahmen zur Verlängerung des Krippenbesuchs über das 3. Lebensjahr hinaus sind im Vertrag explizit genannt. Nach Vermittlung an die regionale Beratungsstelle ist in Zusammenarbeit mit einer Kinder- und Jugendpsychiaterin auch die Gutachtenerstellung nach S 53 ff. SGB XII (Wiedereingliederungshilfe) möglich.

Krisenintervention. Die Krippenpsychologen sind im Fall einer Kindeswohlgefährdung nach § 8a die ersten Ansprechpartner für die Krippenmitarbeiter/innen, um als insoweit erfahrene Fachkräfte eine Gefährdungseinschätzung zu initiieren bzw. durchzuführen. Die Fallverantwortung bleibt dabei stets bei der beauftragenden Einrichtung. Auch in anderen krisenhaften Zuspitzungen familiärer Konflikte oder akuten Veränderungen des kindlichen Erlebens oder Verhaltens kann der Krippenpsychologische Fachdienst hinzugezogen werden.

Thesen zur Kooperation

Eine Arbeitsgruppe der Facharbeitsgemeinschaft Familienangebote, Repräsentanten der Einrichtungen familienbezogener Angebote, hat in einem Prozess Thesen entwickelt, wie die psychosoziale Versorgung und die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten weiterentwickelt werden kann?. (Frau Findeiß, Herr Kühnl, Herr Machenbach, Herr Näther, Frau Philipps, Frau Schwarzbaur, Frau Schwarzmann, Frau Zarda).

Grundlage dieser Thesen waren die Erfahrungen mit dem Krippenpsychologischen Fachdienst auf Seiten der Erziehungsberatungsstellen als auch Arbeitsbezüge und Erkenntnisse der weiteren Anbieter wie Familienzentren, Familienbildungsstätten, u. a.

These 1: Kooperation muss verbindlich sein

„Zur Förderung von gesundem Aufwachsen stehen in der Bundesrepublik neben den Eltern unterschiedliche Systeme in der Verantwortung. Die verteilte Verantwortung kann jedoch die Versorgung an den Übergängen von einem System zum anderen erschweren. Eine möglichst optimale Gestaltung dieser Übergänge ist daher ein wichtiges Ziel“, so die Einleitung des 13. Kinder- und Jugendberichts unter dem Kommissionsvorsitz von Prof. Heiner Keupp (2009). Nach einer umfassenden wissenschaftlichen Analyse des derzeitigen Wissensstandes empfiehlt die Kommission den Aufbau verbindlicher Kooperationsformen der verschiedenen Systeme in lokalen Netzwerken und betont auch die besondere Bedeutung dieser Netzwerke im Bereich der Kindertagesbetreuung (ebda., S. 259).

Die Betonung liegt hier auf „verbindlich“ und bedeutet für die Praxis, dass die Kooperation zwischen den Angeboten geregelt gelebt wird und nicht beliebig ist. Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (BEP, S. 451) ist darüber hinaus Folgendes dazu formuliert:

„Kindertageseinrichtungen haben in Fällen von deutlich erhöhtem Förderbedarf des Kindes und bei familiären Problemen die Aufgabe, Hilfsangebote von Einrichtungen der Jugend- und Familienhilfe sowie anderer psychologischer Fachdienste zu vermitteln. Durch eine intensive Zusammenarbeit insbesondere mit Frühförder-, Erziehungs- und Familienberatungsstellen, dem Jugendamt und dem Allgemeinen Sozialdienst sollen eine bessere Prävention, eine frühzeitige Intervention bei Entwicklungsrisiken oder anderen Problemen sowie die Erschließung von Ressourcen und Beratungsangeboten für Familien erreicht werden. Fachdienste, die mit der spezifischen Förderung von Kindern mit Entwicklungsrisiken oder Behinderung befasst sind, sollen möglichst in der Einrichtung tätig sein.“

Dabei soll es nicht vorrangig darum gehen, neue Angebote zu schaffen, sondern bereits vorhandene Angebote und Dienste zu integrieren mit dem Ziel, diese den Familien in den jeweiligen Münchner Sozialregionen in integrierter Form leichter zugänglich zu machen.

Das kann jedoch nur in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Anbietern im sozialen Nahraum sowie - bei Bedarf - den überregionalen Beratungs- und Bildungseinrichtungen erreicht werden. Die Begrifflichkeit „sozialer Nahraum“ ist dabei nicht nur in einem geografischen Sinne zu verstehen, denn verbindliche Kooperationen lassen sich sehr wohl auch über regionale Grenzen hinweg verabreden. Auf jeden Fall ist es notwendig, in der Einrichtung Kooperationsverantwortliche festzulegen, die die hierfür erforderliche Kontakt- und Vernetzungsarbeit organisatorisch unterstützen und als Ansprechpartner fungieren.

These 2: Kindertagesstätten sind im vorschulischen Bereich wesentliche Knotenpunkte mit den Familienangeboten für ein starkes Netz für Kinder

Kindertagesstätten sind Lebenswelten der Kinder, die Betreuung, Bildung und Erziehung sicherstellen. Sie sind auch zentrale Orte, die Familien unterstützen. Etwa 30 Prozent aller Münchener Kinder unter 3 Jahren besuchen bereits eine Kindertageseinrichtung, annähernd alle Münchener Kinder mit 5 Jahren eine Kindertagestätte. Dadurch sind die Kindertagesstätten wesentliche Knoten- und Anknüpfungspunkte für Angebote der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitswesens. Die Familienangebote setzen dort am effektivsten an, wo Kinder und Familien sich gewöhnlich aufhalten, nämlich in den Kindertagesstätten. Damit für Kinder und Familien die Angebote leicht erreichbar sind, braucht es starke Verknüpfungen zwischen Kindertagestätten und Familienangeboten.

Die internationale wie auch die bundesweite Fachdiskussion über die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen (u. a. Fthenakis 2003; Peucker/Riedel 2004) geht von der Zielvorstellung aus, dass die Notwendigkeit einer leichten Verfügbarkeit von bedarfsgerechten Erziehungs- und Bildungsangeboten an einem Ort für berufstätige und insbesondere für unterprivilegierte und verarmte Eltern immer offensichtlicher wird. Dies beinhaltet die – zumindest punktuelle – Aufhebung versäulter Angebote zugunsten eines integrierten multiprofessionellen Netzwerkansatzes, um Kindern und Familien bedürfnis- und bedarfsgerechte Leistungen mit einem niederschwelligen Zugang an einem Ort zu ermöglichen. Geht man also davon aus, dass Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien im Sozialraum verstärkt wichtig werden und Eltern aufgrund gestiegener Anforderungen zunehmend weniger Zeit zur Organisation des familiären Alltags und dessen Bewältigung zur Verfügung haben, bieten sich Kindertageseinrichtungen als Ort der Vernetzung bzw. Integration sozialer Dienstleistungen an.

These 3: Altersgemischte Konzepte wie Kinder TagesZentren sind aufgrund der Betreuungskontinuität besonders tragfähige Knotenpunkte

Die Öffnung in den sozialen Nahraum, wesentlicher Bestandteil in der KinderTagesZentren- und Early-Excellence-Center-Konzeption gewährleistet darüber hinaus Wohnortnahe und für Familien gut zu erreichende Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort. Darüber hinaus hat sich das Kinder TagesZentren-Konzept besonders bewährt, unter anderem, da die Beziehungen und der Austausch zwischen den Betreuerinnen und den Familien aufgrund der erweiterten Altersmischung der Kinder über eine längere Lebensaltersspanne bestehen bleiben. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Familien Kontakt zu den Beratungsfachkräften bekommen, dieses Angebot nutzen und auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder darauf zurückkommen. Häufig entstehen auch Synergien in den Beratungen, da Geschwisterkinder in altersgemischten Einrichtungen häufiger anzutreffen sind.

These 4: Verschiedene Angebote einen sich durch die Ausrichtung an den Bedürfnissen der Kinder und ihren Familien

Systeme neigen dazu, das eigene Angebot zu betonen, andere ähnliche Hilfsangebote als Konkurrenz zu erkennen und in eigenen Interessenstrukturen zu denken und zu handeln. Dieses Phänomen der „Systemgrenzen“ kann überwunden werden, indem sich Förderprogramme oder Konzeptionen an den unterschiedlichen Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten von Kindern und deren Müttern, Vätern, Großeltern sowie weiteren Bezugspersonen ausrichten: Das gemeinsame Ziel, Familien und Kinder zu fördern und zu unterstützen, eint die verschiedenen Anbieter von Leistungen zu einem übergeordneten, gemeinsamen Anliegen.

Eine sozialraumorientierte Zusammenarbeit trägt dazu bei, sich mit den anderen sozialen Institutionen in der Region noch besser bekannt zu machen, das spezifische Netz der kooperierenden Partner am jeweiligen Standort zu ergänzen und so das Angebotsspektrum - je nach Bedarf der vor Ort lebenden Kinder und Familien - bedürfnisgerecht zu erweitern. In diesem Sinne unterstützen sich die Angebote gegenseitig, um die Familien optimal zu unterstützen, was zur nächsten These überleitet:

These 5: Koproduktionen mit verschiedenen Familienangeboten und mit der Kindertagesbetreuungseinrichtung schafft Synergien

Es ist für alle Beteiligten hilfreich, wenn sich Angebote gegenseitig unterstützen, das heißt auch: Bestimme Hilfen werden durch Koproduktionen gemeinsam gestaltet, denn das bedeutet sparsamen Umgang mit Ressourcen und Gewinnung von Synergieeffekten. Im Rahmen der Zusammenarbeit kann es also nicht allein darum gehen, bestehende Angebote und Maßnahmen des Sozialraums einfach unter einem neuen Dach anzubieten. Es muss vielmehr auch Ziel sein, die vorhandenen Netzwerkstrukturen zu nutzen, um in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Anbietern vor Ort und in Abstimmung mit dem Bedarf der Kinder, Mütter und Väter bedarfsgerechte und bedürfnisorientierte Angebote neu oder weiter zu entwickeln.

These 6: Familien und Kinder frühzeitig und präventiv mit Angeboten erreichen

Die Fachkräfte der Kindertagesstätten sehen die ihnen anvertrauten Kinder fast jeden Tag und können Angebote unmittelbar setzen, wenn für Kinder und Familien ein unterstützendes Familienangebot notwendig wird. Werden Kinder und Familien dadurch mit Familienangeboten frühzeitig erreicht, kann über eine präventive Wirkung das Entstehen von psychischen Problemen und weiteren Auffälligkeiten verhindert werden; bei einer sich bereits entwickelnden Störung kann frühzeitig eingegriffen werden. Die unmittelbar entlastende Wirkung wirkt sehr oft deeskalierend. So werden einerseits bei erfolgreicher Unterstützung in den Familien Entwicklungsschübe und das Erleben von Freude ermöglicht, anderseits können in der längeren Folge auch kostenintensive Erziehungshilfen vermieden werden. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang auch die Erfahrung, dass durch die Kooperation mit Anbietern beispielsweise der Familienbildung und Erziehungsberatung auch Familien erreicht werden können, die bislang kaum oder gar nicht durch die herkömmlichen Strukturen angesprochen wurden.

These 7: Familienangebote sind bei Bedarf Brücke, Wegweiser und Begleiter zu den Hilfen zur Erziehung

Familienangebote, die niedrigschwellig für Familien in den Kindertagesstätten zu erreichen sind, können gleichzeitig bei vorliegender Notwendigkeit die Schnittstelle zum System der Kinder- und Jugendhilfe, respektive zu den Hilfen zur Erziehung sein. Da die Familienangebote selbst auch zur Kinderund Jugendhilfe gehören und damit „ortskundig“ sind, stellen sie auch einen Wegweiserfunktion dar. Sie beraten, unterstützen und begleiten Familien bei der Hilfeerschließung und unterstützen dabei gleichzeitig die Erziehungskräfte in den Einrichtungen vor Ort. Die jeweilige Lebenssituation des Kindes und der Familie ist häufig den für das Kind zuständigen Erziehungskräften zunächst besser bekannt und kann durch eine intensive Zusammenarbeit aller am Hilfeprozess Beteiligten in der weiteren Hilfeerschließung zielgerichteter berücksichtigt werden.

These 8: Inklusion: Mit zusätzlichen unterstützenden Familienangeboten können Kinder mit besonderen Bedürfnissen in der Kindertageseinrichtung gefördert werden

Die Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, d. h. die gemeinsame Erziehung, Bildung und Betreuung von (sozial) benachteiligten Kindern und Kindern mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten Kindern stellt ein grundlegendes Ziel in Kindertageseinrichtungen dar. Mit zugehender Beratung und Unterstützung vor Ort stehen weitere stützende Angebote auch Familien zur Verfügung, die den Weg in die jeweilige Institution (noch) nicht schaffen. Gerade die Beratung und Unterstützung von Familien im Hinblick auf deren individuelle Belastungssituation ist hier besonders wichtig. Die regionale Organisationsstruktur bietet auch die Möglichkeit, Familien in die Beratungsstelle zu begleiten und dort weiter zu betreuen.

Mit diesen zusätzlichen Familienangeboten wie Beratung und Therapie vor Ort können Kinder in ihrer gewohnten Umgebung gefördert und unterstützt werden, damit ist die Inklusion gewährleistet. In den städtischen Kinderkrippen und in Kinderkrippen in Betriebsträgerschaft freier Träger der Jugendhilfe besteht bereits die Regelung, dass Kinder mit erhöhten Förderbedarf und Hilfeplan automatisch von einer psychologischen Fachkraft der regionalen Beratungsstelle betreut werden.

These 9: Familienangebote brauchen enge Kooperation, um Kinder ohne Tagesbetreuung in Kindertagesstätten zu vermitteln

Die Familienangebote erreichen auch Familien, die keine Tagesbetreuung haben, für die aber eine Kindertageseinrichtung für die kindliche Entwicklung förderlich und notwendig wäre. Hier benötigen die Familienangebote die intensive Zusammenarbeit mit den Kindertageseinrichtungen und die Unterstützung, Beratung und Vermittlung durch die jeweiligen Kindertagesstätten, damit auch für diese benachteiligten Kinder der notwendige Bedarf gedeckt werden kann.

Praktisches Vorgehen anhand eines Fallbeispiels

Im Folgenden werden die Arbeitsvielfalt des Krippenpsychologischen Fachdienstes und vor allem die Vernetzungsmöglichkeiten anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht. Angaben zur Familie wurden aus Datenschutzgründen geändert.

Im Sommer 2007 wurde der vietnamesische D. im Alter von 5 Jahren in die Kooperationseinrichtung aufgenommen, im Herbst auch seine beiden jüngeren Brüder M. und B. (Zwillinge, zum Aufnahmezeitpunkt 2,5 Jahre alt). Alle drei Kinder zeigten im Gruppenalltag eine starke soziale Zurückhaltung, spielten fast ausschließlich untereinander und sprachen kaum. Mit der Kooperationseinrichtung besteht ein Altvertrag, der auch die Kindergartenkinder in die Zuständigkeit des Krippenpsychologischen Fachdienstes einschließt. Im Winter 2007 wurden mehrere Verhaltensbeobachtungen in der Gruppe durchgeführt. Die Einschätzung der Erzieherin konnte bestätigt werden, problematisch erschien dabei vor allem, dass sich auch während des Beobachtungszeitraums keine Verbesserung der sozialen Integration der Kinder entwickelte und sprachliche und kognitive Kompetenzen nur zögerlich erworben wurden. In einem gemeinsamen Gespräch mit den Eltern wurden die Beobachtungen mit Hilfe einer muttersprachlichen Dolmetscherin im Frühjahr 2008 thematisiert und zunächst einmal für den ältesten Buben eine logopädische Behandlung empfohlen. Mit schriftlichem Einverständnis der Eltern wurde hierfür Kontakt zum betreuenden Kinderarzt aufgenommen. Die Eltern äußerten sich interessiert daran, die Integration ihrer Kinder zu fördern, da sie ihren langfristigen Aufenthalt in Deutschland planten. Wegen mangelnder eigener Deutschkenntnisse konnten sie den Kindern diese nicht selbst vermitteln. In dem Gespräch erklärten sich die Eltern auch mit einer testpsychologischen Einschätzung zur Intelligenzentwicklung ihres ältesten Sohnes einverstanden.

Wegen mangelnder Deutschkenntnisse wurde mit D. der sprachfreie Intelligenztest SON-R 242-7 (Tellegen et al., 2007) vom Krippenpsychologischen Fachdienst im Frühsommer 2008 in der Kooperationseinrichtung durchgeführt und das Testergebnis den Eltern wieder gemeinsam mit der Bezugserzieherin und der Dolmetscherin rückgemeldet. Der kognitive Entwicklungsrückstand von D. betrug fast 3 Jahre und lag somit im Bereich der geistigen Behinderung. Vor dem Hintergrund weiterer Verhaltensbeobachtungen der drei Buben im Gruppensetting wurde den Eltern nun eine differenzierte Abklärung aller drei Kinder an einem Sozialpädiatrischen Zentrum empfohlen. Um eine Beschleunigung hinsichtlich der dortigen Warteliste zu erreichen, wurde mit schriftlichem Einverständnis der Eltern der Mobile Sonderpädagogische Dienst (MSD) des zuständigen Förderzentrums eingeschaltet und gemeinsam eine bevorzugte Anmeldung im Sozialpädiatrischen Zentrum erreicht. In Kooperation mit dem MSD wurde überlegt, welche Fördermöglichkeiten es ab dem neuen Schuljahr geben könnte. Nachdem eine Schulvorbereitende Einrichtung aus organisatorischen Gründen ausgeschlossen wurde, wurde der älteste Sohn D. für das Schuljahr 2008/2009 zur Einschulung an einem Förderzentrum mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung angemeldet.

In dem bisher geschilderten Zeitraum (bis Sommer 2008) stellte sich auch heraus, dass der im Schichtdienst tätige Vater nur eingeschränkt zusätzliche Wege für seine Kinder übernehmen konnte, vor dem kulturellen Hintergrund die zurückhaltende, kränkliche und kaum Deutsch sprechende Mutter sich aber ebenfalls nur wenig traute, Verantwortung für ihre Kinder über das häusliche Geschehen hinaus zu übernehmen. So wurden vom Kinderarzt angeratene Kontrolluntersuchungen bzgl. Schilddrüsenunterfunktion und Eisenmangelanämie der drei Kinder an einer Kinderklinik nicht zeitgerecht durchgeführt, was sich im Gruppenalltag u. a. dadurch bemerkbar machte, dass der jüngste Sohn B. über einen längeren Zeitraum unter starken Konzentrationsproblemen litt. Auch die Weitergabe des logopädischen Förderbedarfs an den Kinderarzt fand seitens der Eltern nicht statt. Nach Kontaktaufnahme des Krippenpsychologischen Fachdienstes zum Kinderarzt war es erforderlich, dass Kontakt zu einer Logopädin im näheren Umkreis aufgenommen wurde und im weiteren Verlauf die Koordination der Therapie im Auge behalten wurde.

Zudem beklagte der Vater in den Gesprächen die räumlich beengten Verhältnisse (die fünfköpfige Familie lebte in einer nach Angaben des Vaters verschimmelten 2-Zimmer-Wohnung), es gebe keinen Rückzugsraum, die Kinder hätten keinen Platz zum Spielen und seien oft krank. Die Mutter rufe ihn abends öfter am Arbeitsplatz an, wenn die Betreuung der drei Kinder sie überfordere. In der Zusammenarbeit der Bezugserzieherin mit den Eltern entstand zunehmend der Eindruck, dass trotz mehrfacher geduldiger Erklärungen und Nachfragen Empfehlungen und Notwendigkeiten von den Eltern nicht umgesetzt wurden. Die Motive der Eltern hierfür konnten - kulturell und sprachlich bedingt - nur schwer erfasst werden.

Angesichts dieser multiplen Problemlage der Familie, die vor allem für die Mitarbeiterin der Kooperationseinrichtung einen erheblichen Mehraufwand mit sich brachte, erschien es sinnvoll, für die Inanspruchnahme weiterer Hilfen, die Fallkoordination und u. a. auch die Übernahme der Dolmetscherkosten, eine Zusammenarbeit mit der Bezirkssozialarbeit herzustellen. Trotz seiner Skepsis gab der Vater hierzu sein schriftliches Einverständnis (zeitgleich zur Kontaktaufnahme zum MSD).

Um sicherzustellen, dass die wichtigen Untersuchungen der Kinder am Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) auch durchgeführt werden, wurde die Familie in den Sommerferien 2008 vom Krippenpsychologischen Fachdienst dorthin begleitet. Nachdem eine Kostenübernahme durch die Bezirkssozialarbeit abgelehnt worden war, wurden die Dolmetscherkosten zunächst weiterhin von der Erziehungsberatungsstelle getragen. Als Untersuchungsergebnis wurden die geplante Kleingruppenförderung von D. im Rahmen der o.g. Einschulung sowie die begonnene logopädische Behandlung vom SPZ als geeignet eingeschätzt. Zusätzlich wurde Förderbedarf bei allen drei Kindern im motorischen Bereich (Ergotherapie) und für die Zwillingsbrüder auch beim Spracherwerb (Logopädie) festgestellt. Für die Zwillinge sei der Wechsel an einen Integrationskindergarten indiziert, um Entwicklungsrückstände angesichts der bisherigen Deprivation aufzuholen. Zur besseren häuslichen Förderung, medizinischen Versorgung und sozialen Integration wurde eine Ambulante Erziehungshilfe (AEH) für die Mutter empfohlen. Vom dortigen Sozialpädagogischen Dienst wurden die Eltern zur Inanspruchnahme wirtschaftlicher Hilfen, z. B. Behindertenausweis für D., beraten. Eine Wiedervorstellung am SPZ wurde in 6 Monaten empfohlen. Zudem bat der Vater darum, ihm beim Ausfüllen des Antrags für das Wohnungsamt zu helfen.

Zusätzlich zu einem Telefonat mit dem Kinderarzt, mit dem der erhöhte Therapiebedarf besprochen und - angesichts des noch ausstehenden schriftlichen Berichts – um eine baldige Ausstellung von Behandlungsrezepten gebeten wurde, wurde vom Krippenpsychologischen Fachdienst im Herbst 2008 ein Hilfeplangespräch in der Kooperationseinrichtung vor Ort angeregt. Die Eltern sollten dabei gemeinsam mit der Sozialpädagogin des SPZ, der Bezugserzieherin und der (den Eltern bis dahin unbekannten) Bezirkssozialarbeiterin die schrittweise Umsetzung der zahlreichen Empfehlungen diskutieren und planen können. U.a. vereinbarte der Vater dabei einen Termin bei der Bezirkssozialarbeiterin im Sozialbürgerhaus. Mit der Mutter wurde ein Termin vereinbart, um sich in Begleitung des Krippenpsychologischen Fachdiensts bei der Offenen Sozialberatung der regionalen AEH beim Ausfüllen des Schwerbehindertenantrags für D. helfen zu lassen und damit ein erstes Kennenlernen der AEH zu ermöglichen. Dies sollte ein weiterer Schritt sein, die Verantwortungsübernahme der Mutter für die Belange ihrer Kinder zu erhöhen und sie an örtliche Hilfeangebote zu vernetzen. Dabei zeigte sich, dass die Mutter mit der Schriftsprache zwar vertraut war, jedoch inhaltlich nur wenige Angaben machen konnte (der Krippenpsychologische Fachdienst hatte den Bericht des SPZ mitgebracht, in dem die nötigen Informationen enthalten waren).

Bezüglich der medizinischen Therapien erschien aus Gründen der Praktikabilität (9 Therapietermine für die 3 Kinder pro Woche ab Herbst 2008) ein Wechsel in eine größere Therapiepraxis sinnvoll. Erneut musste der Kontakt hergestellt und bei Unklarheiten von der Bezugserzieherin interveniert werden. Z. B. brachte die Mutter ihren Sohn nur ungern noch am späten Nachmittag zur Therapie. Auch Missverständnisse und Versäumnisse der Eltern im Zuge der Einschulung von D. mussten weiterhin überwiegend von der Bezugserzieherin geklärt werden, während der Krippenpsychologische Fachdienst koordinierend tätig wurde. Z. B. ergaben Nachfragen, dass bei der Schulanmeldung versäumt worden war, gleichzeitig auch einen Antrag für die Nachmittagsbetreuung zu stellen. Dies wurde nachgeholt. Erfreulicherweise konnte sich D. in der neuen Einrichtung schnell eingewöhnen, fühlte sich wohl und machte sprachliche Fortschritte, was die Eltern honorierten. Da es an der Schule kurzfristig keine Möglichkeit der Nachmittagsbetreuung für D. gab, besuchte der Junge nachmittags in Form einer Ausnahmeregelung weiterhin die bisherige Einrichtung.

In Kooperation mit dem MSD wurden die Zwillinge M. und B. im Frühjahr 2009 in zwei Integrationskindergärten angemeldet, einmal wurden die Eltern vom Krippenpsychologischen Fachdienst, einmal vom MSD begleitet.

Eine Nachfrage bei der Bezirkssozialarbeiterin ergab zudem, dass der Vater in 0.g. Gesprächstermin lediglich eine Essensgeldreduzierung beantragt hatte. Es wurde mit der Bezirkssozialarbeiterin vereinbart, dass die Ambulante Erziehungshilfe vom Krippenpsychologischen Fachdienst bzw. der Erziehungsberatungsstelle initiiert werden sollte, und es wurde die Falleingabe für das Regionale Fachteam übernommen. Da die Arbeitsintensität für diese Familie die zeitlichen und inhaltlichen Möglichkeiten des Krippenpsychologischen Fachdienstes überstieg, wurde die Familie gleichzeitig in der regionalen Erziehungsberatungsstelle als beratene Familie unterstützt. So wurde z. B. das Erstellen der Falleingabe für das Regionale Fachteam nicht über den Krippenpsychologischen Fachdienst abgerechnet, sondern fand im regulären Arbeitsrahmen der Erziehungsberatungsstelle statt. Für die Familie, die durch die steigende Zahl an Helfern bereits zunehmend mit Verwirrung reagierte, war dies günstig, da zumindest hier kein Beraterwechsel stattfinden musste. Im Regionalen Fachteam konnte die bisher fallverantwortliche Erziehungsberatungsstelle den Bedarf der Familie spezifizieren. Wegen der geringen Deutschkenntnisse der Mutter wurde als Hilfemaßnahme eine überregionale AEH beschlossen, angesichts der räumlichen Nähe und des Bedarfs an sozialer Integration der zurückhaltenden Mutter konnte aber auch ihre Teilnahme an einer Frauengruppe der regionalen AEH geplant werden.

Im Frühjahr 2009 wurde wegen eines Heimataufenthalts das Vaters und hohen Familienstresses vom Krippenpsychologischen Fachdienst Kontakt mit dem SPZ aufgenommen und vorgeschlagen, die Wiedervorstellung auf die Sommerferien 2009 zu verschieben. Neben der Koordination der Termine und der Dolmetscherin (Kostenübernahme bei Voranmeldung nun durch einen Förderverein des SPZ möglich) wurde vereinbart, dass die Wiederholungstestung zur Überprüfung des Förderorts von D. mittels des SON-R 272-7 zwischenzeitlich vom Krippenpsychologischen Fachdienst durchgeführt wird. Die Eltern gaben ebenfalls ihr Einverständnis. Die Testung wurde im Frühjahr 2009 erneut in den Räumen der Kooperationseinrichtung durchgeführt und das Testergebnis (trotz Fortschritten von D. weiterhin erheblicher Förderbedarf und Verbleib an der Schule) den Eltern wieder unter Nutzung des Dolmetscherdienstes mitgeteilt.

Abschließend wurde über die Erziehungsberatungsstelle ein Übergabegespräch mit der ab Sommer 2009 tätigen überregionalen AEH geführt. In Kooperation mit der AEH wurde die Familie in den Sommerferien 2009 zum SPZ begleitet. Mit Beginn des Schuljahres 2009/2010 wechselten die Zwillinge an einen Integrationskindergarten und D., der vormittags weiterhin die Förderschule besuchte, an einen Integrationshort. Damit endete die Zuständigkeit des Krippenpsychologischen Fachdienstes, nicht aber die Zuständigkeit der Erziehungsberatungsstelle. Auch die Angebote unseres angeschlossenen Familienzentrums stehen der Familie weiterhin offen.

Mit dieser Falldarstellung wurde verdeutlicht, wie komplex die Betreuung einer Familie mit verschiedenen Problemfeldern im Rahmen des Krippenpsychologischen Fachdienstes sein kann. Ohne die unkomplizierte, häufig auf persönlichem Kontakt basierende Kooperation mit den Ansprechpartnern und die Nutzung der Ressourcen der regionalen Erziehungsberatungsstelle im Hintergrund wäre diese intensive zugehende Unterstützung für die Kinder nicht möglich gewesen. Besonders hervorzuheben ist hier die enge Kooperation mit der Bezugserzieherin, ohne deren Einsatz der immense Förderbedarf nicht so ersichtlich gewesen wäre.

Durch diese Kooperation intensivierte sich in München die Zusammenarbeit zwischen Krippeneltern, Kinderkrippe und Beratungsstelle: Die Anzahl der Kleinkinder, die Anlass der Beratung waren, hat sich bei den Beratungsstellen von 5% im Jahre 1985 auf über 13% im Jahre 2011 mehr als verdoppelt (Jahresberichte der Münchener Erziehungsberatungsstellen, Eigendruck).

Literatur

Achenbach, T.M. (2000). Child Behavior Checklist 142-5 - Deutsche Fassung (CBCL 172-5). Göttingen: Hogrefe.

Achenbach, T.M. (2000). Caregiver-Teacher Report Form - Deutsche Fassung (C-TRF 172-5). Göttingen: Hogrefe.

Bayley, N. (2005). Bayley Scales of Infant Development III. Frankfurt am Main: Pearson Assessment.

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik (2006): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Berlin, Düsseldorf: Cornelsen Verlag Scriptor.

Bea, Franz Xaver & Göbel, Elisabeth (1999): Organisation: Theorie und Gestaltung. UTB.

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